Ein Niemand by Goetsch Daniel

Ein Niemand by Goetsch Daniel

Autor:Goetsch, Daniel
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman, Liebesroman, Doppelgänger, Doppelgängergeschichte, Stiller, Unfall, Verwechslung
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2016-02-20T00:00:00+00:00


FW Tegel, 29. Dezember, nachmittags

»Lassen Sie uns eine Pause machen«, schlug ich vor.

Er war offensichtlich nicht mehr bei der Sache. Zwar sprach er weiterhin in das Aufnahmegerät und berichtete wortreich von seinen Eskapaden in Prag, aber sein Blick hing irgendwo im Raum, als müsste er jeden Satz aus der Luft greifen. Mein Verdacht, es hier mit einem Lügner zu tun zu haben, verstärkte sich weiter.

»Wir setzen das Gespräch um fünfzehn Uhr fort«, sagte ich.

Er nahm es mit einer an Gleichgültigkeit grenzenden Ruhe hin, selbst als er beobachtete, wie ich die Taste unter dem Tisch betätigte, um einen Beamten zu rufen. Langsam erhob er sich, warf sich den Parka über und blieb unschlüssig in der Mitte des Zimmers stehen.

»Können Sie das verstehen?«

»Was?«, fragte ich zerstreut.

»Dass ich begonnen habe, mich in ihn hineinzuversetzen. Dass er mich mehr und mehr vereinnahmte.«

Wir musterten uns eine Weile. Ich hätte mir gewünscht, er hätte selbst gemerkt, wie unglaubwürdig er wirkte.

»Ich rede von Ion«, glaubte er präzisieren zu müssen.

Ich war erleichtert, als ein Beamter erschien und ihn abführte. Die Schritte verklangen auf dem Flur. Mir blieb genau eine Stunde. Ich ging ein paar Namen von Kollegen durch, die sich mit dissoziativen Störungen auskannten. Es ist nicht unüblich, in außergewöhnlichen Fällen mit unspezifischen Auffälligkeiten einen Kollegen hinzuzuziehen. Gerade hier, auf der Flughafenwache, häufen sich ja solche Fälle. Wir befinden uns in einem Grenzbereich, in einem der wenigen Einfallstore in die Europäische Union. Hier landen Flüchtlinge, Abenteurer, Irrläufer, Menschen, die von etwas getrieben sind, das wir trotz unseres Fachwissens nicht immer hinlänglich beschreiben können. Wir stoßen hier in vielerlei Hinsicht an Grenzen. Die Gesetze sind dabei noch die fassbarsten. Der Kollege Siegwart, Professor in Leipzig, war der Einzige, der mir einfiel, der nicht in den unabkömmlich machenden Terminplan einer Klinik eingebunden war. Aber bevor ich Siegwart hätte kontaktieren können, stand mein Mann wieder im Zimmer.

»Lassen Sie uns fortfahren«, sagte er.

»Ihre Pause dauert noch vierzig Minuten.«

»Ich habe einen Fehler gemacht. Das will ich gar nicht bestreiten.«

Er hatte den Parka über die Stuhllehne geworfen und sich hingesetzt. Sein Blick war auf das Aufnahmegerät geheftet, als ginge von ihm eine magische Kraft aus. Ich schob es wie üblich in die Mitte des Tischs.

»Ich habe mich zu weit vorgewagt. Zu sehr in dieses fremde Leben verstrickt. Was wusste ich schon von ihm. Ion Rebreanu. Ein Herzensbrecher, aber auch ein Rebell, ein politischer Kopf. Ein Kämpfer für ein gerechtes Europa, für den Dritten Weg, was auch immer. Und vor allem hatte er einen Feind: John C. Schwartz. Das machte mich neugierig.«

»Und dazu noch diese Mascha«, warf ich ein.

Er erschauderte, starrte auf meinen obersten Hemdknopf und zerdrückte langsam in seinen Händen den leeren Kaffeebecher.

»Das mit Mascha hatte nichts mit Ion zu tun. Das war eine Sache zwischen ihr und mir.«

»Sie hat Sie nie für Ion gehalten?«

»Nein, Mascha wusste ganz genau, wer ich war.«

»Wer waren Sie denn?«

Die Frage erschien ihm offenbar so unsinnig, dass er sich mit einem breiten Grinsen im Stuhl zurücklehnte. Damit befand er sich außerhalb des Empfangsbereichs. Vor Gericht aber zählt allein das, was wiedergegeben werden kann.



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